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(GZ-12-2024 - 20. Juni)
Gastbeiträge

► Bevölkerungsschutz in Zeiten von Klimawandel und Zeitenwende:

 

Lösungsansatz für die neuen Herausforderungen im kommunalen Krisenmanagement

 

Dr. Sandra Kreitner, Vizepräsidentin der Gesellschaft für Krisenvorsorge (GfKV) und 
Christian Haas, Gesellschaft für Krisenvorsorge (GfKV), Botschafter für Bayern

Ein guter Ruf ist das Ergebnis jahrzehntelanger harter Arbeit. Ihn zu zerstören bedarf nur weniger Minuten. Der hohe Wert eines funktionierenden Risiko- und Krisenmanagements zeigt sich oft erst in den schwersten Stunden der kommunalen Geschichte. Wurde jahrelang lediglich in einen „Papiertiger“ investiert oder wurden zielgerichtet Strukturen aufgebaut, die performen, wenn es darauf ankommt? In Zeiten von Klimawandel und Zeitenwende müssen sich die Kommunen auf komplexe Szenarien einstellen. Zudem werden allen Verantwortungsträgern Krisenmanagementfähigkeiten abverlangt.

Fachpersonal schnell und praxisnah qualifizieren. Bild: Dr. Sandra Kreitner
Fachpersonal schnell und praxisnah qualifizieren. Bild: Dr. Sandra Kreitner

Strukturbrüche adressieren und sich den Herausforderungen im Bevölkerungsschutz stellen

Die großen Strukturbrüche Klimawandel und Zeitenwende stehen bereits seit Jahren als Elefanten im Raum, werden jedoch von vielen Verantwortlichen immer noch viel zu zaghaft adressiert. Dabei bedeutet Strukturbruch: Nichts wird wieder so, wie es früher einmal war und je eher man sich auf die neue Realität einstellt, desto besser. Denn die Schadensszenarien, welche diese Strukturbrüche im Gepäck führen, sind immens.

Unwetterereignisse bedrohen weitgehend unabhängig von der geografischen Lage ausnahmslos jeden Landstrich, über welchen Orkane, Sturm- bzw. Sturzfluten oder Tornados hinwegfegen oder auf welchem die Wasser-, Schnee- oder Hagelmassen niedergehen. Doch auch extreme Hitze und Trockenheit und daraus resultierende Dürre- und Waldbrandkatastrophen bilden die Vorboten eines sich immer deutlicher abzeichnenden Klimawandels.

Als wäre das nicht schlimm genug, hat sich im Zuge des russischen Überfalls auf die Ukraine ein weiterer Strukturbruch („Zeitenwende“) vollzogen. Angriffe auf unsere Kritischen Infrastrukturen sind zu einer Realität geworden (Sprengung Nordstream-Pipelines, Cyberangriffe, Angriffe auf die Stromversorgung) mit der wir täglich umzugehen haben. Diese Angriffe lassen sich unter dem Begriff „hybride Kriegsführung“ subsumieren. Die Täter operieren dabei anonym und suchen ihre Verbindung zu dem hinter diesen Angriffen steckenden Aggressor zu verschleiern. Sie gehen dabei äußerst kreativ und koordiniert vor, ohne die Schwelle zu einem offiziellen Krieg zu überschreiten. Besonders unsere Kritischen Infrastrukturen geraten dabei als leicht anzugreifende Ziele mehr und mehr ins Visier dieser Akteure. Immer öfter sind Sabotageakte gegen unsere Stromversorgung zu beobachten, die deutlich an Professionalität zunehmen. Sicherheitsbehörden sollten daher auf einen großflächigen Stromausfall vorbereitet und in der Lage sein, ihre Bevölkerung in solch einem Szenario zu schützen. Ereignisse wie die Flutwelle an der Ahr zeigen, dass die Frage nach dem Vorhandensein funktionierender Basisstrukturen im Bevölkerungsschutz schnell zum Gegenstand strafrechtlicher Ermittlungen werden kann.

Kommunale Verantwortungsträger nachhaltig in schlagkräftige Strukturen einbinden

Betrachten wir die Krisen der letzten Jahre, sei es 9/11, Corona, die Flutwelle an Ahr und Erft, der russische Überfall auf die Ukraine, die Starkregenereignisse in diesem Jahr oder die zunehmenden Angriffe auf unsere Kritische Infrastruktur, so können wir daraus im Wesentlichen drei Dinge lernen. Erstens: Sei gut vorbereitet, es kommt schlimmer als Du denkst! Zweitens: Trotz aller Risikoanalyse konnte noch zu keinem Zeitpunkt in der Geschichte der Menschheit die nächste Krise exakt vorab beschrieben werden. Angesichts dessen ist es völlig unwirtschaftlich, für jedes denkbare Ereignis ein Konzept in der Schublade haben zu wollen. Drittens: Krisen löst man nicht mit Konzepten, sondern durch den Einsatz funktionierender Strukturen zur Ereignisbewältigung. In einem Satz: Wir wissen weder was kommt noch wie es kommt. Von daher benötigen wir Instrumente, die geeignet sind, jede denkbare Herausforderung zu meistern.

Das Schlüsselelement der Krisenbewältigung auf kommunaler Ebene ist ein schlagkräftiger Verwaltungsstab (= Krisenstab), insbesondere zur Entlastung der taktisch-operativen Führungsstäbe (= Einsatzleitungen), die unmittelbar mit der Ereignisbewältigung befasst sind. Politisch Verantwortliche müssen keine studierten Risiko- und Krisenmanager sein. Sie sollten allerdings die Güte des Risiko- und Krisenmanagements beurteilen können und eine klare Vorstellung davon haben, was sie von der Entscheidungsvorbereitung ihres Krisenstabes erwarten dürfen. Zudem sollten sie wissen, welche weiteren Strukturelemente zur Bewältigung komplexer Krisen vorgehalten werden müssen. Verantwortung ist unteilbar, das gilt auch für die politische Verantwortung. Die Aufgabenerfüllung an hoffentlich gut geschultes Personal zu delegieren, entbindet nicht von der Pflicht zur Kontrolle ob die geschaffenen Strukturen auch performen.

Fachpersonal schnell und praxisnah qualifizieren

Wer die Lehren aus den Hackerangriffen auf Kommunen und Behörden sowie den verheerenden Starkregenereignissen und Sturzfluten ziehen – und seine Bürger wirksam schützen will, dem wird schnell klar: Am Aufbau kommunaler Krisenstäbe aber auch von Anlaufstellen für die betroffene Bevölkerung sowie der Einrichtung von Notfallmeldestellen – für den Fall, dass Strom und Kommunikationsnetz ausfallen – führt kein Weg vorbei. Aufbau und Betrieb dieser Strukturen kann ausschließlich durch entsprechend qualifiziertes Personal erfolgen. Um den Städten und Gemeinden dieses hochqualifizierte Personal zur Verfügung zu stellen, wurde in Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Verband für Sicherheit in der Wirtschaft (BVSW) eine Lehrgangslandschaft zum schnellen Kompetenzerwerb kommunaler Verantwortungsträger ins Leben gerufen:

Mit dem „Resilienzmanager KRITIS (IHK)“ wird für die Hauptverwaltungsbeamten ein Lehrgang angeboten, der innerhalb von fünf Tagen genau das thematisiert, was diese in ihrer Funktion als Bürgermeister zu verantworten haben.

Lehrgangslandschaft Behörden. Bild: Dr. Sandra Kreitner
Lehrgangslandschaft Behörden. Bild: Dr. Sandra Kreitner

Im Rahmen der fünftägigen Ausbildung wird neben der Risikoanalyse und Risikobewertung sowie der Planung von Resilienz- und Notbetriebsmaßnahmen praxisnah vermittelt, wie Strukturelemente der Gefahrenabwehr aufgebaut und in die Performing-Phase gebracht werden. Der Krisenstab ist das am meisten unterschätzte und damit, gemessen am Potenzial, zu wenig genutzte Strukturelement im Alltagsgeschäft des Risikomanagements: Eine Simulation von Szenarien, straff durchmoderiert – um den Krisenstab zeitgleich für das Krisenmanagement zu trainieren – legt Schwachstellen offen, die durch Resilienzmaßnahmen zu schließen sind. Sämtliche Entscheider sitzen im Krisenstab am Tisch und können aus einem gemeinsamen Verständnis für das jeweils simulierte Szenario die erforderlichen Maßnahmen unmittelbar auf den Weg bringen. Im Schwerpunkt steht die Vermittlung der Fähigkeit, den Krisenstab als zentrales Element der Ereignisbewältigung richtig einzusetzen. Ergänzend zur Schulung der Kernprozesse der Krisenstabsarbeit wird den Teilnehmern in Form von Übersichten, Formularen und Checklisten umfangreiches Material an die Hand gegeben. Eine Planübung zeigt, wie man Krisenstäbe auf spielerische Weise trainiert, wichtige Prozesse innerhalb angemessener Zeit zu beherrschen.

Wesentlicher Schlüsselfaktor der Resilienz einer Kommunalbehörde ist der Mensch. Von daher ist die Umsetzung von Resilienzmaßnahmen auf Ebene der Mitarbeiter essenziell. Anhand eines Workshops, der 1:1 in der Behörde durchgeführt werden kann, gelingt es, Mitarbeiter zu zuverlässigen Partnern in sämtlichen Sicherheitsbelangen und damit zu einer „First Line of Defense“ zu machen.

Essenziell ist auch das Feld der Risiko- und Krisenkommunikation. Ohne begleitende Risikokommunikation ist die Implementierung von Resilienzmaßnahmen nicht realisierbar – das gilt sowohl für die interne Kommunikation als auch für die Kommunikation mit dem Bürger. Wie die Risikokommunikationsstrategie in der Praxis, basierend auf acht Bausteinen, auszugestalten ist, um erfolgreich zu sein, bildet daher ein unverzichtbares Element dieser Ausbildung.

Braintrusts bilden

Im Sinne der Effizienz wird dieser Lehrgang sowohl vom Hauptverwaltungsbeamten als auch vom Leiter bzw. stellvertretenden Leiter des Krisenstabes besucht. Dadurch erfolgt eine Synchronisierung des Wissens in wesentlichen Kompetenzfeldern, wodurch das Fundament für eine sich wechselseitig inspirierende, vertrauensvolle Zusammenarbeit gelegt wird.

Was bitte ist ein einsamer Spezialist auf weiter Flur? Zunächst einmal eine Schwachstelle, die bei unvermitteltem Ausscheiden zu einer Gefährdung für die Stabilität eines Systems werden kann. In jedem Fall jedoch eine Verschwendung von Ressourcen. Spezialisten, denen die Möglichkeit eines Fachaustauschs nicht gegeben ist, sind dazu verdammt, in ihrer Fachlichkeit verkümmern. Effizienz hingegen entsteht durch den sogenannten Brain-Trust-Effekt: Experten, die sich austauschen, inspirieren sich gegenseitig, wodurch der Outcome größer ist als bei isoliertem Wirken. 1+1=3, d.h. durch den Fachaustausch wird aus dem Ganzen mehr als die Summe seiner Teile. Dadurch werden Resilienzmanager zu Multiplikatoren, die praktikable Ideen entwickeln, wie die Risiko- und Krisenmanagementkompetenz im Verantwortungsbereich zu mehren ist.

Der Krisenstab als zentrales Element der Ereignisbewältigung. Bild: Dr. Sandra Kreitner
Der Krisenstab als zentrales Element der Ereignisbewältigung. Bild: Dr. Sandra Kreitner

Unterstützung durch eine starke Community of Practice sichern

Die Dozenten dieser Kurse betreuen zudem die Community of Practice Schutz KRITIS, die allen Absolventen kostenfrei offensteht. Dabei handelt es sich um ein Netzwerk, welches sich in regelmäßigen Abständen online trifft und fachliche Anleitung zur Lösung von Herausforderungen bietet, die in der Praxis der kommunalen Gefahrenabwehr auftreten. Damit erfahren die Sicherheitsbehörden in Ihrem Bestreben einen modernen Bevölkerungsschutz zu etablieren, nachhaltige Unterstützung.

Neben der generalistischen Ausbildung zum Resilienzmanager werden vom Bayerischen Verband für Sicherheit in der Wirtschaft (BVSW) für Spezialisten im Risiko- und Krisenmanagement drei weitere Zertifizierungen angeboten: „Administrativer Risikomanager (BVSW)“, „Administrativer Krisenmanager (BVSW)“ und „Krisenstabsmanager (BVSW)“. Aufgrund ihrer praxisbezogenen Ausbildungstiefe stellen diese Zertifizierungen eine wertvolle Ergänzung zum „Resilienzmanager KRITIS (IHK)“ dar. So erhält der Krisenstabsmanager beispielsweise eine Spezialausbildung im Bereich Krisenstabsarbeit, die ihn u.a. dazu befähigt, Krisenstabssitzungen zielführend zu moderieren sowie komplexe Herausforderungen professionell aufbereitet zur Entscheidung zu bringen. Fähigkeiten, die nicht nur in Krisenstabssitzungen als wünschenswert erachtet werden.

Das Vertrauen der Bevölkerung durch den zielgerichteten Aufbau schlagkräftiger Strukturen gewinnen

Die beschriebene Lehrgangslandschaft ermöglicht Städten und Gemeinden, schnell und zielgerichtet Basisstrukturen zur Ereignisbewältigung aufzubauen oder aber in die Performing-Phase zu bringen. Zudem können sich politisch Verantwortliche einen schnellen Überblick darüber verschaffen, worauf es bei der Bewältigung komplexer Krisen wirklich ankommt. Wer jetzt Verwaltungsstäbe aufstellt, die darin trainiert sind Entscheidungen im Zuge der Ereignisbewältigung schnell und zielsicher zu treffen, dem braucht für die Zukunft nicht bange zu sein. Notfallmeldepunkte und Anlaufstellen für die Bevölkerung sowie die Fähigkeit den Einsatz von Spontanhelfenden zum Wohle der Bevölkerung zu koordinieren, schaffen Vertrauen und zeugen davon, dass in Ihrer Kommune die Herausforderungen der Zukunft wirkungsvoll adressiert werden.

Dr. Sandra Kreitner, Vizepräsidentin der Gesellschaft für Krisenvorsorge (GfKV) und 
Christian Haas, Gesellschaft für Krisenvorsorge (GfKV), Botschafter für Bayern

 

 

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