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(GZ-22-2021)
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► Serie „Kommunale Entwicklungspolitik anders denken“:

 

Teil 9: „Entwicklungszusammenarbeit: Je kleiner, desto besser“

 

Unsere Autorin Anja Schuchardt behandelte im Rahmen ihrer Masterarbeit das Thema „Kommunale Entwicklungszusammenarbeit“ und sprach dazu mit Christian Springer, Kabarettist und Gründer von Orienthelfer e.V.

Als Kulturschaffender steht Christian Springer als Kabarettist auf der Bühne. Er setzt sich mit dem Begriff ‚Kultur’ in besonderer Weise auseinander, indem er beispielsweise Kabarettprogramme zu dieser Thematik schreibt. Parallel engagiert er sich seit Jahrzehnten im Nahen Osten und gründete 2012 den gemeinnützigen Verein Orienthelfer. Im Rahmen dieses Engagements setzt Christian Springer auf eine Verbesserung der Zukunftsperspektiven im Nahen Osten durch Bildungsprojekte. Er plädiert zudem für eine starke kommunale Zusammenarbeit, weil er sowohl auf Spendengelder als auch politische Rahmenbedingungen angewiesen ist. Im Interview stellt Christian Springer heraus, warum bestimmte Strukturen in der Entwicklungszusammenarbeit die Kooperation zwischen Partnern hemmen.

Christian Springer bei der Verteilung von Büchern im Libanon. Bild: Rechtefrei abdruckbar
Christian Springer bei der Verteilung von Büchern im Libanon. Bild: Rechtefrei abdruckbar

GZ: Wie setzen Sie in ihrer Rolle als Kabarettist und Gründer von Orienthelfer e.V. den interkulturellen Dialog zwischen deutschen Kommunen und den Partnern im Nahen Osten in der Praxis konkret um?

Christian Springer: Orienthelfer e.V. arbeitet eng mit dem Auswärtigen Amt und dem Bundesentwicklungsministerium zusammen. Es geht in erster Linie darum, Kindern den Schulunterricht zu ermöglichen. Aber wir müssen zunächst klären: Was bedeutet „interkultureller Dialog“? Ich sage, dieser interkulturelle Dialog wird nicht benötigt, weil es keinen Handlungsbedarf gibt. Mir sind manche Verhaltensweisen deutscher Partner im Umgang mit Menschen fremder, als das Handeln der Leute vor Ort. Es gibt zum Beispiel in muslimischen Ländern einen anderen Kalender. Da sollte ich bei der Organisation von Schulprojekten wissen, an welchen Tagen muslimische Feiertage stattfinden. Ich versuche zudem in der Zusammenarbeit das nach wie vor existierende kolonialistische Denken aufzubrechen. Das ist die höchste Prämisse, die man in dieser Arbeit machen muss.

GZ: Wenn Sie jetzt das koloniale Erbe ansprechen – konnten Sie feststellen, dass dadurch auch die Prioritäten in den jeweiligen Ländern verschieden sind? Oder dass Länder im Globalen Süden beispielsweise versuchen, dem Westen in einer bestimmten Art nachzueifern?

Christian Springer: Wenn es um Menschen geht, im politischen Kontext, ja natürlich. Aber ich sehe das in meiner Arbeit nicht so. Seit Ende der 1980er Jahre halte ich mich im Nahen Osten auf. Das ist eine Welt, in der es auch große christliche Minderheiten gibt, bis auf Jordanien. Das spielt natürlich eine Rolle. Man merkt das. Das Zusammenleben ist anders. Aber die echte Prägung der Menschen, die ist eine sehr direkte. Und das ist die Gewaltprägung. Denn es zählen sehr viele Länder dazu, die Kriegserlebnisse innerhalb der letzten drei Jahrzehnte erlebt haben. Das heißt, man muss sich in gewisser Weise zurückdenken in die Zeit von 1950 in Deutschland, um zu verstehen, was dort los ist. All diese Dinge prägen die Menschen sehr viel mehr als eine Religion. Und das hängt mit dem kolonialistischen Denken zusammen, indem wir in arabischen Ländern glauben, wir müssen jetzt über den Islam sprechen. Das ist komplett falsch, weil es an den Problemen vorbeigeht. Die Leute haben keinen Strom, die haben keinen Zugang zu Wasser sowie er nötig wäre.

GZ: Es wird trotzdem in der Entwicklungspolitik gefordert, dass man die kulturellen Einflussfaktoren stärker berücksichtigt. Können Sie das auch unterschreiben?

Christian Springer: Ich bin ein strikter Gegner davon, die kulturellen Einflussfaktoren besonders zu betonen. Ich erkläre das am Beispiel Libanon: Jeder, der 35 Jahre alt ist im Libanon, hat als Fünfjährige aktiv den Bürgerkrieg miterlebt. Der Bürgerkriege ging nach 15 Jahren 1990 zu Ende und diese Gewalt- und Kriegserfahren, dieses Trauma, das ist kollektiv und individuell spürbar im Libanon. Ich bin immer wieder mit Leuten unterwegs, die das nicht wissen, aber mir etwas über den Islam erzählen wollen und über die Unterschiede in der Kultur. Aber es wäre absolut notwendig, sich mit der Landeskompetenz auseinanderzusetzen und diese zu erwerben. Da spielt zu einem geringen Teil auch die Kultur eine Rolle. Das Wissen um die Kriegserfahrungen im jeweiligen Land ist aber weitaus wichtiger. Wenn ich das nicht habe, dann kann ich auch nicht über oder mit den Menschen sprechen. Denn der Krieg ist nicht etwas, was im Buch steht, sondern was Menschen und Kinder erlebt haben.

GZ: Dabei geht es dann aber auch um die Frage: Was macht denn Kultur aus? Geht es jetzt um Traditionen, um religiöse Riten oder geht es darum, dass man unter Kultur versteht, dass man sich bestmöglichst entfalten kann. Also dass man die Freiheit hat, seine eigenen Fähigkeiten zu nutzen.

Christian Springer: Da bin ich gerne auf Ihrer Seite, da kommen wir der Sache nämlich näher. Denn der Überbegriff, der für meine Arbeit gilt ist die Augenhöhe. Wir gehen viel zu wenig auf die Bedürfnisse vor Ort ein. Sondern wir gehen oft schon mit vorgefertigten Projektvorstellungen an die Sache ran und wollen diese nach unseren Vorstellungen umsetzen. Ob das vor Ort so benötigt, gewollt oder gebraucht wird, ist eine ganz andere Frage. D as liegt an der Struktur und der Bürokratie der Entwicklungszusammenarbeit. Oft kommt es dazu, dass Projekte gar nicht personell begleitet werden können, sondern ausschließlich über das Papier, was aber extrem wichtig wäre. Entwicklungszusammenarbeit – je kleiner sie wird, umso besser wird sie. Dafür liebe ich auch diese Einbettung in die kommunalen Partnerschaften. Damit meine ich nicht Städtepartnerschaften, sondern was Entwicklungsminister Dr. Gerd Müller ins Leben gerufen hat: diese kommunale Zusammenarbeit, die man unbedingt vorantreiben sollte.

GZ: Konnten Sie in Ihrer Zusammenarbeit auch feststellen, dass man Elemente der eigenen Kultur und der anderen Kultur irgendwie vereint hat?

Christian Springer: Natürlich, das funktioniert blendend. Da gibt es sehr viele Beispiele. Es funktioniert immer auf einem Alltagsniveau am allerbesten. Bei Dingen, mit denen sich Menschen weltweit beschäftigen, wie kochen und spielen, beispielsweise Fußball – die Fußballbegeisterung der Kinder ist unfassbar.

GZ: Auf welche Bedürfnisse sollten Akteure in der Entwicklungszusammenarbeit denn besondere Rücksicht nehmen? Und muss dabei die Beachtung gewisser Grundwerte wie Freiheitsdenken vorausgesetzt werden?

Christian Springer: Ich muss Menschen schützen und nterstützen, die einen Freiheitsbegriff im Kopf haben. Das ist ein bildungspolitischer Ansatz, der sehr wichtig geworden ist und das setzt eine Kompetenz für die Partnerregion voraus. Menschen haben am erfolgreichsten gearbeitet, wenn sie ein Gespür für das Werte- und Orientierungssystem hier und dort gehabt haben. Das zu vermitteln ist eine unabdingbare Aufgabe, aber sehr schwer, weil es Menschen mit und ohne Empathie gibt. Das Gespür beim Menschen kann man ganz schwer als einen zu bewertenden Ausbildungsstandard festlegen. Aber der Erfolg der Arbeit ist exakt daran zu messen. Denn es geht nicht drum, mit welchen Noten man aus der Universität herauskommt, sondern um das Gespür für Kinder und den Bildungssektor und wie ich mit Konflikten umgehe. Da sind wir ein komplettes Entwicklungsland, weil bei uns zu viele Karrieristen oben mitschwimmen und sich nicht dafür interessieren, dass die Entwicklungszusammenarbeit mit Menschen zu tun hat. Wichtig ist, dass wir immer ein Ziel vor Augen haben. Man wird auch Fehler machen, ich habe auch viele Fehler gemacht. Ich bin Kabarettist, ich habe nie gelernt in einem anderen Land Entwicklungszusammenarbeit zu machen. Aber wenn man lernt und Schritt für Schritt vorangeht, dann wird man gemeinsam Erfolg haben. Ihre Arbeit ist auch ein Baustein dessen. Ich bin sehr zukunftsfroh und optimistisch, dass sich da etwas tut, auch in Bezug auf das Fachpersonal in den Ministerien, die sehr viel Ahnung und dieses gewisse Gespür mitbringen.

Anja Schuchardt

 

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