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(GZ-18-2021)
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► Serie „Kommunale Entwicklungspolitik anders denken“:

 

Teil 4: „Fairness muss man leben“

 

Unsere Autorin Anja Schuchardt behandelte im Rahmen ihrer Masterarbeit das Thema „Kommunale Entwicklungszusammenarbeit“ und sprach dazu mit Berater Meinolf Spiekermann. Nachdem Spiekermann drei Jahrzehnte für die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) arbeitete, berät er nun Kommunen in der Entwicklungszusammenarbeit, unter anderem in den Themenbereichen Kommunal- und Stadtentwicklung und Dezentralisierung. Im Interview erläutert er anhand konkreter Beispiele, wie sich sein Verständnis von interkultureller Zusammenarbeit verändert hat und was Partner in den Kommunen mitbringen sollten, die an einem Austausch mit Menschen im Globalen Süden interessiert sind.

GZ: Wie hat sich Ihr Verständnis von der interkulturellen Zusammenarbeit im Laufe Ihrer Arbeit entwickelt?

Begegnungen immer auf Augenhöhe

Spiekermann: Man muss sich erst einmal davon lösen, dass wir, der Globale Norden, mehr zu bieten hätten, als der Globale Süden. Wir haben bestimmte Dinge erreicht, wir haben anderes zu bieten, aber auch dazu beigetragen, dass bestimmte Dinge in der Welt nicht so gut laufen – beispielsweise durch den Kolonialismus und die daraus entstandenen Abhängigkeiten von ehemaligen kolonialen Mächten, die immer noch Auswirkungen haben.

Als ich Ende der 1980er angefangen habe, mich aufgrund meiner Anstellung bei der GIZ mit dem Thema Entwicklungszusammenarbeit intensiv zu beschäftigen, hatte ich noch die Einstellung „Wir bringen euch jetzt die Welt!“. Da musste ich dann schnell erkennen, das ist völlig falsch und vor allem unfair. Denn es geht in erster Linie darum, sich auf Augenhöhe bewusst fair zu begegnen. Das kann man nicht nur entscheiden, das muss man sein, das muss man leben. Und das spüren die Partner, ob ich als Besserwisser, als sogenannter „Experte“ aus dem Norden komme oder als jemand, der auch zuhören kann.

Demokratie braucht Zeit

GZ: Können Sie in dem Zusammenhang ein konkretes Beispiel aus Ihrer Arbeit nennen?

Spiekermann: In Tunesien habe ich die Regierung und Kommunen im Dezentralisierungsprozess nach der Revolution 2011 beraten. Da wurden wir gebeten, diese Demokratiebewegung auf der lokalen Ebene, in den Kommunen mehr zu unterstützen und mehr bürgernahes Verwaltungshandeln sowie Bürgerbeteiligung an kommunalen Entscheidungen herbeizuführen.

Mir war klar: Das geht nicht von heute auf morgen. In Ländern, die lange Zeit zentralistisch regiert wurden, kann man nicht von den Menschen verlangen, dass sie die Verteilung von Kompetenzen auf viele Schultern direkt umsetzen. Dazu braucht es einen Kulturwandel im Verwaltungshandeln, Ausbildung und institutionelle Strukturen – das ist eine Generationenfrage. Ob Dezentralisierung schließlich zum Erfolg führt, weiß man auch nicht so genau und das muss immer berücksichtigt werden. Aber man muss als Berater natürlich davon überzeugt sein, dass man Chancen in der Dezentralisierung sieht.

GZ: Wie verändern sich bestimmte Verhaltensmuster zwischen den Akteuren im Laufe der Zusammenarbeit?

Spiekermann: Beide Seiten lernen voneinander. Das funktioniert aber nur, wenn die Partner durch regelmäßige Kontakte Vertrauen aufbauen. Dadurch erkennen die Menschen: Aha, der andere kocht auch nur mit Wasser, genau wie ich. Und dann überlegt man, wie beide Partner ihr Wissen zusammenbringen können. Das ist dann eine gute Grundlage für Zusammenarbeit.

GZ: Was sollten Partner in den Kommunen mitbringen, die an einer Zusammenarbeit mit Menschen im Globalen Süden interessiert sind?

Motivation und die Bereitschaft zuzuhören

Spiekermann: Motivation ist das Wichtigste und die Bereitschaft zuzuhören. Also nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen und beispielsweise sagen: Unser Abfallsystem läuft folgendermaßen. Sondern sich erst einmal erkundigen, wie das System vor Ort funktioniert. Das schafft eine Informationsbasis und Vertrauen. Wichtig ist auch der gegenseitige Spaß am Umgang mit den anderen Menschen. Auf beiden Seiten ist das so. Es ist eigentlich eine ganz einfache Geschichte.

Vertrauen, Kenntnis und Ehrlichkeit sind gefordert

In der Entwicklungszusammenarbeit ist es nicht anders wie in der Beziehung zwischen zwei Menschen, nur auf anderer Ebene. Aber es sind dieselben Mechanismen: man braucht Vertrauen, Kenntnis und Ehrlichkeit. Damit meine ich Ehrlichkeit über die eigenen Grenzen und die Möglichkeiten des Engagements sowie auch Ehrlichkeit über die eigenen Interessen.

Das Eigeninteresse muss man darlegen, denn das schafft Glaubwürdigkeit. Also, ich wurde immer gefragt: Warum macht ihr das und sprecht mit uns über Dezentralisierung und Bürgerbeteiligung? Ihr wollt uns doch nur beherrschen! Und wir haben gesagt: Wir wollen in unserer Nachbarschaft Frieden und das geht am besten durch Demokratie. Das ist schließlich ein Interesse, das auf beiden Seiten herrscht. Wenn man diese Komplementarität herausstellt, ist das motivierend und glaubwürdig.

 

Anja Schuchardt

 

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